12.
Dez
2016

3
min

Eine Begebenheit in Paris

"Eine Begebenheit in Paris" ist eine Kurzgeschichte von Alexander Djatschenko, eines russischen Priesters und Schriftstellers.

Neulich war ich am Sitz des Metropoliten. Ich stand dort im Flur, sprach mit den Vätern, und da kam mir ein bekannter Batjuschka entgegen. Sooft ich ihn sah, hatte er immer ein freudiges Lächeln aufgesetzt. Er war früher Offizier beim Speznas und ist später Priester geworden. Um sich herum scharte er junge Leute, so vierzig Mann, Jungen und Mädels, mit denen er Sport trieb. Einmal sah ich ihre öffentlichen Darbietungen; ich schätze, diese Schar wäre für jede Einheit der Luftlandetruppen eine Zier gewesen.

Er trug seinen Talar, aber kein Brustkreuz. Wir begrüßten uns, und ich fragte:

„Väterchen, warum stimmt deine Uniform nicht? Wo ist das Kreuz?“

Da lachte er:

„Ich bin neulich in Paris gewesen, da wurde ich so erschreckt, dass ich bis heute ohne das Brustkreuz unterwegs bin.“

Und er erzählte mir die folgende Geschichte. Ich nun gebe sie hier wieder, wie ich kann. Etwaige Ungenauigkeiten möge man mir verzeihen.

Unser Batjuschka war mit einer ganzen Gruppe orthodoxer Priester und Mönche im Juni dieses Jahres in Frankreich. So, wie ich das verstanden habe, hatte jemand von unseren Vätern, der in Frankreich seinen Dienst versah, eine Genehmigung von Vertretern der Katholischen Kirche bekommen, an jenen Orten zu beten, an denen die Gebeine antiker Heiliger aufbewahrt werden. Die Gruppe führte einen kleinen Altartisch mit sich, der es den Vätern gestattete, an jedem beliebigen Ort die orthodoxe Liturgie zu zelebrieren.

„An einem der Orte, an dem wir gebetet haben, befand sich auf unserem Altartisch ein Gefäß mit dem Haupt des heiligen Johannes des Täufers selbst. Stell dir vor, was dabei in unserem Inneren vorging!“

In Paris nun bekamen sie die Genehmigung, im Notre Dame de Paris einen Gottesdienst zu feiern.

„Wir sind in einem Hotel untergekommen, von wo aus uns ein gemieteter Bus zu einer bestimmten Zeit zur Kathedrale bringen sollte. Wir gingen hinaus auf die Straße und warteten, der Bus aber kam nicht. Die Zeit lief uns davon, und da sagte einer unserer Batjuschkas: »Väter, was warten wir hier eigentlich? Wenn wir die Métro nehmen, sind es nur ein paar Haltestellen bis zur Kathedrale.«

So gingen wir denn. Wir steigen also zur U-Bahn hinab – und dabei sind wir alle in geistliche Tracht gekleidet, mit unseren Brustkreuzen, die Mönche trugen ihre Klobuks – und bemerken, wie eine Menge von Arabern vor uns Reißaus in alle Richtungen nimmt. Wir betraten den Waggon, und die Araber flohen daraus wie von der Tarantel gestochen. Auf diese Weise hat sich um unsere Gruppe herum ein gewisses Vakuum gebildet.

Orthodoxe Priester auf der Straße

Jemand von den Vätern telefonierte mit dem Busfahrer und verabredete sich mit diesem, dass uns der Bus an unserer Endhaltestelle erwarten solle. Als wir die U-Bahn verließen, bot sich uns das folgende Bild: Am Ausgang der Métro standen französische Spezialeinheiten der Polizei Spalier und nahmen uns in Empfang. Sie nahmen uns in ihre Mitte und begleiteten uns bis zum Bus. Rings um uns herum aber – woher kamen die plötzlich alle? – tobte eine ungeheure Menge arabischer Jugendlicher. Sie schrien unentwegt etwas, schüttelten ihre Fäuste.

Die Polizisten winkten uns eifrig zu, als wollten sie uns sagen: Los, etwas schneller, ihr seht doch, was hier vor sich geht...

Wir fuhren bis zur Kathedrale heran, gingen hinein, und in diesem Augenblick sahen uns die Touristen, die sich darin befanden; es waren auch Touristen aus Russland dabei. So kam es, dass eine große Menge an Menschen hinter uns her zog. Wir zelebrierten, dabei sangen wir auch selbst. Man brachte uns den Dornenkranz Christi heraus – das ist sicher das größte christliche Heiligtum in Frankreich. Man bedeutete uns: hier, ihr könnt ihn auch den Menschen in der Kathedrale zur Verehrung darbieten.

Ich Sünder habe den Dornenkranz Christi zweieinhalb Stunden lang in meinen Händen gehalten, und in dieser Zeit sind dreieinhalb Tausend Menschen zu mir herangekommen, um ihn zu verehren. Ich stehe jetzt hier und spreche mit dir, aber innerlich befinde ich mich immer noch in einem Zustand, als stünde ich und hielte ihn weiterhin in meinen Händen.“



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